Rüdiger Schütz, Jena  TRANSIT FC ("Blaue Lagune")

 

 

 

 

 

Unfassbar, aber wahr: Neuauflage der Störtebeker-Rocksuite der Gruppe Transit:

 

Die Störtebeker Rocksuite der Gruppe Transit auf Vinyl

ROKKfilm ein neues, junges Label:

eine Oase für Ostrockfans

 

Manchmal geschehen für die in Deutschland lebenden Ostrockfans doch noch Wunder. Seit Jahrzehnten muss sich die Ostrockszene im vereinten Deutschland mit einer Nebenrolle oder dem sprichwörtlichen „Stiefmütterchen Dasein“ abfinden. Zu runden Amiga-Jubiläen erschienen schon einmal Sammeleditionen dieser Musik. Aber ansonsten sucht man in den verschiedensten Rundfunksendern (vom Fernsehen gar nicht zu reden) Ostrocksongs meist vergeblich. Was soll es, man kann sich nur selbst helfen. Seit einigen Jahren kann man teils regional sendenden Ostrockradiosender lauschen. Aber so richtig was wirklich Neues gab es bis kaum. Insider wissen genau, dass in den verschiedensten Archiven noch riesige Schätze an unveröffentlichtem oder selten gespielten Tonbandmaterial vorwiegend aus den 1970er und 1980er Jahren der Veröffentlichung harren.

Seit wenigen Jahren hat sich ein Team um den profunden Kenner der Musikszene Jens-Uwe Berndt gebildet. Er ist Gründer und heutiger Geschäftsführer des Labels „ROKKfilm“, dass sich genau dieser genannten Aufgabe widmet: dem Heben dieser verborgenen Schätze. Und das mit einem -so scheint es- einfachen, aber doch wohl schwer umzusetzenden Konzept: neue Platten, mit alten „Ostrockschätzen“, die neu bearbeitet und gemastert, mit höchstem gestalterischem Niveau erstellt, in richtig „geile“ Plattenhüllen- oder -boxen mit viel Liebe verpackt werden und dann in kleineren Stückzahlen der Fangemeinde angeboten werden. Und siehe da: das Konzept scheint zu greifen. Das seit einigen Jahren zu vermeldende tolle Comeback der Schallplatte liefert dazu den Hintergrund. Und so geschah dies zuerst mit der sensationellen Vinyl-Box „Metamorphosen“ der Gruppe WIR um Jürgen Ziegler, gefolgt von der LP „In The Moot“ der Hansi-Bibel-Blues-Band. Alle beiden Veröffentlichungen ein wahrer Hörgenuss.

Fragt man mich selbst nach meinen Lieblings-Ostrockbands oder -sängern, antworte ich immer, dass ich mit Czeslaw Niemen und Omega in diese Musiksparte des Ostrock „zivilisiert“ wurde. Meine Lieblingsband aus der DDR waren aber nicht die überall genannten Puhdys, Renft oder andere.  Am meisten beeindruckte mich immer TRANSIT. Warum dies so ist – davon später mehr.

Und so drang im Januar dieses Jahres die Kunde auch zu mir, dass ROKKfilm die legendäre Störtebeker-Rocksuite neu auflegen würde. Eine Hammer-Info! Schon im März erschienen die ersten Bilder von der LP und drei Wochen später hielt ich sie wirklich in der Hand. Streng limitiert, Fanausgabe mit Nummerierung und mit Autogramm von Siegfried Scholz. Als ich sie auspackte und zum ersten Mal im Original sah, kamen mir die Tränen. So ein edles Teil hatte ich Jahre nicht mehr in der Hand gehabt.

Was erwartet die Hörer/innen?

Das Paket enthält im Doppel-Bocklet die auf blaues Vinyl gepresste LP, ein 24-seitiges attraktives Begleitheft mit unzähligen Informationen zur Entstehung der neunteiligen Rocksuite inclusive dem originalen Gesamttext, einen historischen Überblick zur wahren Geschichte und der Legende um Klaus Störtebeker nebst interessanten Details zur Geschichte der Band und natürlich zu ihrem Spiritus Rector Egon Linde. Das ganz im edelsten Design mit Mittelalterflair (Konzeption dazu ebenso Jens-Uwe Berndt, Gesamtgestaltung: Grit M. Wolff) und tollen Bildern. Ergänzt wurde das für „Frühbesteller“ wie mich mit einem nummerierten  Zertifikat für die ersten 100 Rockfans, die diese LP bestellten. Ein Blick auf die aktuelle Website von ROKKfilm und man liest die Mitteilung , dass diese Fanclub-Edition bereits schon jetzt verkauft ist.

Und dann kam der „heilige“ Moment. Die penibel gereinigte Platte lag auf dem sorgsam gesäuberten Plattenspieler und man kommt nicht aus dem Staunen heraus. Kein Knistern, kein Rauschen, ein toller Sound eines 43 Jahre alten Werkes, dass unter teils ominösen und teils fast schon spaßig anmutenden Umständen zur Welt kam. Auch dazu liefert das Booklet einzigartige Informationen des damaligen Schlagzeugers Lutz Krüger, der auch darüber erzählen kann, warum die Rocksuite überhaupt erst 1997 beim Label Barbarossa erscheinen konnte. Eine fabelhafte neue, moderne Aufnahme, die, mit derselben Verstärkeranlage abgespielt, noch besser klingt als die 1997er CD-Variante. Text und Musik dieses besonderen Genres ziehen einen sofort in den Bann. Die Geschichte des Ostseerebellen Störtebeker verfolgt man gespannt.

Die Rocksuite wurde zu DDR-Zeiten nie auf Tonträgern veröffentlicht und lief nur wenige Mal über den Rundfunk. Die besagte 1997er CD werden vielleicht auch nur wenige kennen, so dass mit der jetzt veröffentlichten LP das exzellente Stück eine noch größere Verbreitung erfahren könnte. Zur Besonderheit der Transit-Stücke gehörte stets, dass sich Egon Linde und Siegfried Scholz oft mit historischen und lokalen Themen auseinandersetzten. Genannt seien hier nur in dieser historischen Themenreihe Ritter Kahlputz (1982), die Nixe (1981), das legendäre Hildebrandslied und die Bernsteinhexe, beide 1980 erschienen. Als Geschichts- und Deutschlehrer im Ruhestand erinnere ich mich noch sehr gut daran, dass ich mit beiden zuletzt genannten Stücken und ihrer Aufführung per Plattenspieler im Unterricht nicht zu erwartete Erfolge erzielen konnte. Plötzlich lauschte man den (natürlich hervorragend zu verstehenden deutschen Texten) und staunte ehrlich darüber, dass man ein aus dem 9. Jahrhundert stammendes mittelalterliches Heldenlied als Rockstück vertonen konnte. Der Text half den Schülerinnen und Schülern hervorragend, die besondere Situation des Aufeinandertreffens von Vater und Sohn zu verstehen und einordnen zu können. Die Störtebeker-Rocksuite ist dann der absolute Höhepunkt der Band in der Beschäftigung mit historischen Themen.

Die Geschichte der Band, die nach einer langen Pause nach der Einheit des Landes, in den späten 2000er und 2010er Jahren mit Erfolg weitergeschrieben werden konnte, zeigt deutlich, dass Ostrockbands in der neuen Zeit hervorragende Texte schreiben und tolle Melodien komponieren konnten. Ich durfte so in den Jahren ab 2009 einigen Konzerten beiwohnen, von denen mir vor allen Dingen die legendäre Kulturscheune Dändorf in der Nähe des Ostseebads Dierhagen auf der Insel Rügen in Erinnerung geblieben ist. Die Musik von Transit war und bleibt wohl immer etwas Spezielles für Insider. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, dass sie mit solchen Projekten wie das von ROKKfilm der Nachwelt erhalten bleibt. Im Booklet zur Störtebeker-Rocksuite lesen wir die Worte von Egon Linde: „Auf einen Erfolg der CD (gemeint ist die 2010er CD „Über´s Meer“) spekuliert niemand von uns. Wir wollen die neuen Stücke einfach festhalten. Natürlich hoffen wir, dass die Lieder den Leuten gefallen. Vielleicht gibt es einige, die gleiche Empfindungen und Sehnsüchte haben wie wir“. Die gibt es. Der Verfasser dieser Zeilen zählt wie viel andere dazu. Ich hoffe, dass diese großartige LP im Lande weiter  Verbreitung findet und man sie als ein besonders wertvolles Schmuckstück ostdeutscher Rockmusik in bester Erinnerung behält. Die so erfolgreiche Beschäftigung einer deutschsprachigen Rockband mit solch einem spannenden historischen Thema wie der Legende um Klaus Störtbeker stellt ein echtes Alleinstellungsmerkmal dar. Darauf können die Musiker um ihren Bandleader Egon Linde stolz sein. Die LP ist so natürlich auch ein Monument für den viel zu früh verstorbenen Egon Linde, der viel mehr als nur der „ostdeutsche Udo Lindenberg“ war.

Dem Team um Jens-Uwe Berndt wünschen wir, dass ihnen noch weitere solche Volltreffer gelingen mögen. Unsere kleine Fangemeinde wünscht ihm das von ganzem Herzen.

 

 

 

 

TRANSIT – KLAUS STÖRTEBEKER 2024

 

1978 – Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule „Karl Liebknecht“, 8. Klasse – Mathe…

Unser Lehrer Herr Schulz (Klasse!): „heute Abend ist im „Kreisi“ eine Band, die spielt Lindenberg & Pink Floyd. Wen ich von Euch dort sehe, der muss bis morgen keine Mathe-Hausaufgaben machen“. Unschlagbares Argument… Das Konzert (mein erstes überhaupt) und in der 1. Reihe – sonst keine rechten Erinnerungen mehr, noch keine Setlist im Tagebuch… Aber irgendwie war etwas da und ist geblieben.

 

Es geht die Zeit…

2024 – 46 Jahre später, am Sonnabendabend im Wohnzimmer und eine Schallplatte auf dem Plattenspieler (der Puck kommt noch!). Nicht einfach eine LP – ein Gesamtkunstwerk. Und das in den heutigen, unseligen Streaming-Zeiten mit Kollegen, die (O-Ton): „noch nie Geld für CDs oder Musik ausgegeben haben“, dafür aber viel mehr Geld für diverse Fernseh-Abos…

Bei mir Musik aus den Boxen Musik in wunderbar analoger Qualität, man hört sprichwörtlich die Spinnweben in den Studioecken beim Mastering.

 

Seitdem ist viel Zeit vergangen – die Konzerte, Worte und Erlebnisse an vielen Orten, eine ergreifende Trauerfeier und Beerdigung, die Treffen danach. Und hier nun die Musik, die Worte in den Texten und feuchte Augen. Und das sicher nicht nur bei uns, sondern bei so vielen Freunden und Fans. Schade, dass die Zeit uns eingeholt hatte. Egon fährt jetzt sicher mit einem Lächeln im von Sonne und Wind gezeichneten Gesicht in seinem blauen Boot über das Wolkenmeer – mit neuer Musik im Kopf…

Rüdiger Pfohl (Transit FC "Blaue Lagune")

 

 

 

Hartmut Helms

TRANSIT – „Klaus Störtebeker“ - eine Rock-Suite (Rockkfilm, 2024)          

 

Die Fans wussten es schon immer: Rockmusik aus der DDR ist ein Schatz, in dem noch viele Juwelen zu entdecken sind. Den Fans sind fast alle bekannt, viele sind geborgen, aber einige schlummern noch immer in nicht zugänglichen Archiven. Auch die Rock-Suite „Störtebeker“ von Transit (1982) ist so ein Juwel, das erst Jahre nach der Wende (1997) geborgen wurde und zu den Fans gelangte. Damals nur als CD und nicht, wie von den Musikern erhofft, als Vinyl-Album. Dieser Schritt ist nun endlich getan. Die Aufnahmen wurden überarbeitet, völlig neu gemastert und in ein, die historischen Geschehnisse würdigendes und die Musik der Rock-Suite unterstützendes, opulentes Klapp-Cover, mit Booklet und Zertifikat, gesteckt. Der Transit-Fan kann sich endlich an einem besonderen Prunkstück erfreuen.

 

Komponist, Gitarrist und Sänger Egon Linde hatte sich spätestens mit dem Album „Bernsteinhexe“ einen Namen mit der Aufarbeitung historisch-maritimer Themen gemacht, als er 1981 daran ging, das Thema Störtebeker aufzugreifen. Mit insgesamt neun Kompositionen näherte er sich der Geschichte, der Sage und dem Leben des legendären Piraten des 14. Jahrhunderts. Keyboarder Siegfried „Siggi“ Scholz schrieb überzeugende authentische Lyrik zur Musik, ließ das Geschehen lebendig werden und knüpfte geschickt aktuelle Bezüge zum Leben in der DDR hinein. Neun Kompositionen malen neun musikalische Bilder, die den Hörer, vom „Prolog“ bis zum „Epilog“, fesseln werden. Wie ein Rahmen umschließen Meeresrauschen, Trommeln und Flötenspiel dramaturgisch geschickt die neun Teile der Suite, in der uns die kehlig-kantige Stimme von Egon Linde eine lebendige Sicht auf die Ereignisse vor Jahrhunderten und die Sehnsucht nach Freiheit vermittelt. Es ist wie ein Blick durchs Schlüsselloch, an dem auch ein Kopfhörer steckt, weit zurück in die Vergangenheit.

 

Der beschreibt die Sage, berichtet mit aufrüttelndem Chorus, „Hey, Hey“, von der Jugend des Mannes, der die Patrizier als Wurzel allen Übels ausmacht und sich ihnen als Teil der Likedeeler entgegen stellt. Bedrohlich klingt der eingängige Chorus, wild und trotzig, wie der Geist der Piraten, so dröhnt deren  Botschaft. Alte Tänze, den historischen Klängen fein nachempfunden, präsentiert Störtebeker uns sein Verhältnis zum Volk, ehe er in eine tosende Seeschlacht, fast dreizehn Minuten lang, zieht. Die entlädt sich musikalisch in einem wuchtig stampfenden Crescendo, einem Inferno gleich. Dann ist der Kampf verloren, das Schicksal des tapferen Piraten Klaus Störtebeker und seiner wilden Gesellen besiegelt. Die Trommeln und Flöten legen von seinem Ende im Epilog Zeugnis ab. Sie tragen den Gedanken an Freiheit von Unterdrückung weiter in eine ferne Zukunft, bis ins Heute.

 

Das aufklappbare Cover in den Händen regt mit Piratenszenen die eigene Fantasie beim Eintauchen in die Musik an. Das Innenteil präsentiert den Hauptteil eines alten Posters von Transit mit den Porträts der vier Musiker. Ein klar strukturiertes einheitliches Klangbild lässt den Instrumenten genug Raum für uneingeschränkten differenzierten Hörgenuss. Im beiliegenden Booklet kann man die Texte verfolgen, sich über das Entstehen der Rock-Suite informieren und die Worte von Egon Linde in einem Interview nachlesen. Ein von Siggi Scholz (keyb, lyrics) und Lutz Krüger (dr) handsigniertes Zertifikat rundet das opulent aufgemachte Kleinod einer Fan-Edition ab. Eine würdige Erinnerung, ein liebevoll gestaltetes Sammlerstück und ein Juwel, das sich von vielen anderen Ausgaben heutiger Tage wohltuend abhebt. Glückwunsch allen beteiligten Machern und den einstigen Weggefährten von Egon Linde bei Transit. Ein weiterer filigraner Diamant wurde dem DDR-Rock-Schatz entrissen und 500 Exemplare, davon 100 in blauem Vinyl mit dem handsignierten Zertifikat, den Fans zugänglich gemacht worden.